Fluchtgeschichten

 

Er arbeitet für die Regierung. Ist Beamter. Seine Arbeit gefällt ihm und erfüllt ihn.

Eines Tages wird er zu seinem Vorgesetzten zitiert. Der erklärt ihm, dass es gut sein würde, wenn er sich etwas mehr für die Sache der Regierung engagieren würde. Er versteht nicht, was sein Chef meint. Der wird deutlicher. Es gibt Feinde der Regierung, er als Vertreter dieser Regierung sollte doch Interesse daran haben, dass die Rebellen nicht noch mächtiger werden im Land. Dann wird ihm empfohlen sich am bewaffneten Kampf zu beteiligen. Er will nicht kämpfen, will nicht töten im Namen der Regierung. Man droht ihm damit, dass seiner Familie etwas passieren könnte im Fall seiner Weigerung. Er erkennt die Gefahr, in der seine Familie und auch er selbst sind, sollte er nicht für den Staat kämpfen. Er flüchtet mit seiner Familie in ein Dorf weit draußen auf dem Land. Kaum dort angekommen wird er wieder bedroht. Diesmal sind es allerdings die Aufständischen der IS, die ihm sagen, dass er ab jetzt mit ihnen gegen die Regierung kämpfen muss. Wieder wird seine Familie bedroht. Er beschließt, seine Familie noch weiter weg zu bringen in ein scheinbar sicheres Gebiet. Als er seine Familie in Sicherheit glaubt, verkauft er, was er besitzt in der Hauptstadt, gibt den Großteil des Geldes seiner Frau und flüchtet mit dem Rest aus dem Land mit dem Ziel, in einem sicheren Land Fuß zu fassen und seine Familie so schnell wie möglich nachkommen zu lassen.

Er verbringt 3 Monate auf der Flucht, schläft in den Städten in alten Häusern und auf dem Land im Wald. Die Menschen, die ihm auf seiner Flucht helfen, sind Schlepper. Für jede Etappe auf dem Weg in die Freiheit muss er bezahlen. Manchmal kleinere Summen, manchmal unvorstellbar große. Nach 3 Monaten und nachdem er insgesamt mehr als 7.000 Euro an seine Schlepper bezahlt hat, kommt er nach einer unglaublichen Flucht per Schiff, LKW-Container und zu Fuß über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Kroatien in Österreich illegal an und kann, als er irgendwo in Kärnten aufgegriffen wird, nur das eine Wort sagen, das er für diesen Fall gelernt hat: „Asyl“.

Er wird mit einem Bus mit etlichen anderen Flüchtlingen nach Traiskirchen gebracht. Dort wird er einvernommen und dann, als sein Flüchtlingsstatus halbwegs abgeklärt ist, mit einem Kleinbus nach Linz transportiert. Hier wird er mit einigen anderen Syrern nach St. Isidor gebracht. Und hier wartet er auf sein entscheidendes Interview beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.  Es kann Wochen und Monate dauern, manchmal Jahre, bis er vorgeladen wird. In dieser Zeit darf er nicht arbeiten, muss von 5,50 € am Tag sein Leben bestreiten. Wartet und sieht die Berichte über den Krieg in seiner Heimat, erfährt von der Bombe auf das Nachbarhaus seiner Familie. Stirbt fast vor Sorge um seine Frau und seine Kinder. Kann nichts tun als zu warten und zu beten.

Tagelang, wochenlang, monatelang.